Diese Frage beinhaltet eine Vermutung: nämlich die, dass viele Studien nicht veröffentlicht werden. Stimmt das denn überhaupt? Leider ist die Antwort darauf: Ja.
Genaue Zahlen dafür kann man nicht liefern, denn dazu müsste man ja wissen, wie viele Studien es überhaupt gibt – bzw. noch genauer: wie viele begonnen, durchgeführt und abgeschlossen werden - und dann prüfen, welche davon keinerlei Daten veröffentlichen. Normal ist ja, dass in einer Studie sehr viele Erkenntnisse gewonnen werden, die in den meisten Fällen in mehreren wissenschaftlichen Artikeln veröffentlicht werden. Mit anderen Worten: Pro Studie gibt es dann mehrere Veröffentlichungen.
Aber wieso gibt es nun Studien, bei denen nicht mal ein einziger Artikel erscheint?
Dazu kann ich aus meiner eigenen Erfahrung berichten, denn ich habe schon mehrfach Studien „adoptiert“. So nenne ich das, wenn eine Studie abgeschlossen ist und niemand mehr da ist, der die Daten auswertet. Ich habe mich dann dieser Daten angenommen und zumindest die wichtigsten Ergebnisse aufgeschrieben und veröffentlicht.
Ein häufiger Grund für eine solche Adoption war, dass die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen nach dem Ende der Studie ihre Stelle wechselten und sich deshalb nicht mehr um die Veröffentlichung kümmern konnten. Die allermeisten Studien werden über sogenannte Drittmittel bezahlt. Das bedeutet, ein Geldgeber stellt für eine bestimmte Fragestellung eine bestimmte Summe zur Verfügung. Dieses Geld reicht meistens für 2 bis 3 Jahre, in dieser Zeit werden Wissenschaftler*innen angestellt und müssen die Studie fertigstellen. Oft kommt es aber zu unvorhersehbaren Problemen während der Laufzeit der Studie (z. B. eine COVID-19-Pandemie), die die Durchführung erschwert und den Projektfortschritt verlangsamt. Trotzdem gibt es aber nicht mehr Geld, und am Ende der 3 Jahre findet die Professorin des Wissenschaftlers entweder anderes Geld (und dann muss er seine Zeit in eine andere Studie stecken) oder sie findet kein Geld, dann wird der Arbeitsvertrag beendet und es ist schlicht und einfach niemand mehr da, der die Studie zu Ende bringt. Manchmal kann die Datenerhebung zwar noch beendet werden, aber es ist nicht mehr genug Zeit für die Datenauswertung oder für das Niederschreiben der Ergebnisse.
Ein zweiter Grund dafür, dass Ergebnisse nicht veröffentlicht werden, ist eher persönlicher Natur. Manchen Kolleg*innen fällt es schwer, ihre Gedanken in Worte zu fassen und/oder diese niederzuschreiben. Es scheint da eine Art innere Blockade zu geben. Die Gründe dafür sind vielfältig: Angst vor Kritik durch Kolleg*innen, Selbstzweifel, Unsicherheit usw. Eine Veröffentlichung ist eben genau das: eine Veröffentlichung. Man macht sich und seine Überlegungen, auch alle Unzulänglichkeiten und Fehler der Studie, öffentlich. Das ist nicht immer leicht. Außerdem kann es passieren, dass Autor*innen sich nicht motivieren können, einen Artikel zu Ergebnissen zu verfassen, die nicht so sind, wie sie es sich ursprünglich mal gedacht haben. Bei klinischen Studien ist diese Gefahr nicht so hoch, denn jede klinische Studie muss sich zu Beginn in einem öffentlich einsehbaren Register eintragen (z. B. bei www.clinicaltrials.gov). Hier trägt man dann auch ein, welcher Fragestellung die Studie nachgeht und welche Hypothesen man dazu hat. Jeder Mensch kann dann später nachprüfen, ob diese Studie ihre Ergebnisse veröffentlicht hat. Bei vielen epidemiologischen Studien ist das aber noch nicht der Fall.
Eine dritte Ursache für das Nicht-Veröffentlichen ist bei den Verlagen zu suchen. Die meisten Manuskripte werden mehr oder weniger häufig abgelehnt (ich habe zum Beispiel Artikel veröffentlicht, die ich vorher bei 9 anderen Zeitschriften eingereicht hatte). Man tingelt also von Zeitschrift zu Zeitschrift und hofft, irgendwo auf Herausgeber*innen zu treffen, die das Thema so spannend finden, dass sie es an ihre Gutachter*innen weiterleiten, die es dann beurteilen und entweder annehmen, ablehnen oder Überarbeitungen empfehlen. Hier kommen natürlich auch viele Interessen ins Spiel – persönliche Interessen der Herausgeber*innen, aber auch wirtschaftliche Interessen. Wenn ein Manuskript voraussichtlich häufig zitiert werden wird, ist das für den sogenannten „Impact Factor“ der Zeitschrift wichtig. Wenn ein Manuskript also nicht „im Trend“ liegt oder wenn die Ergebnisse als uninteressant betrachtet werden, kann es passieren, dass es auch deshalb nicht veröffentlicht wird – selbst wenn die Daten alle ausgewertet und das Artikel geschrieben ist. Dies ist auch deshalb problematisch, weil das zu einem sogenannten „Publication Bias“ führen kann, also dazu, dass die veröffentlichten Ergebnisse tendenziell zu positiv sind. Nehmen wir ein Beispiel: Sie haben ein neues Verfahren zur Testung von COVID-19 entwickelt. In Ihrer Studie stellen Sie aber fest, dass Ihr neuer Test nicht besser ist als der bisherige, den Sie als Vergleich genommen haben. Damit können Sie jetzt keinen vom Hocker reißen, aber Sie wollen redlich und ehrlich sein und die Ergebnisse trotzdem veröffentlichen – man kann ja immer etwas lernen, auch aus solchen „negativen“ Ergebnisse oder aus Fehlern. Sie schreiben also den Artikel und berichten alles ganz ordentlich, aber keine Zeitschrift will den Artikel aufnehmen. Wenn Ihr Test besser gewesen wäre als der alte, dann wäre das ganz anders – Sie würden den Artikel wahrscheinlich sofort unterbringen können. Trotzdem ist es wichtig, sich nicht von den Ergebnissen her treiben zu lassen, sondern ALLE Ergebnisse zu publizieren. Man muss als Autorin schon ziemlich hartnäckig sein, um da nicht aufzugeben.
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