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Was macht Ihr eigentlich, wenn gerade keine Epidemie ist?


Diese Frage bringt mich als Epidemiologin zum Schmunzeln. Ja, was machen wir dann eigentlich?


Zum einen: Nicht alle Epidemiologen beschäftigen sich mit Infektionserkrankungen, also deshalb auch nicht mit Epidemien. Im Gegenteil, gerade in den hoch-industrialisierten Ländern spielen nicht-ansteckende Krankheiten eine größere Rolle, also zum Beispiel Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die sogenannte Krankheitslast durch diese Erkrankungen ist bei uns höher als durch Infektionskrankheiten. Das bedeutet, dass daran mehr Menschen erkranken und auch versterben. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir besser verstehen lernen, wer solche Krankheiten bekommt und wie man sie gegebenenfalls vermeiden kann. Das machen Epidemiologen.

Nicht-ansteckende Krankheiten haben eine hohe Krankheitslast, vor allem in industrialisierten Ländern. Deshalb werden Epidemiologen auch außerhalb von Epidemien benötigt.

Zum Anderen: Auch diejenigen, deren Forschungsschwerpunkt Infektionskrankheiten sind, haben immer etwas zu tun, auch außerhalb von Krankheitsausbrüchen. Man muss zum Beispiel Daten auswerten und interpretieren. Das ist häufig sehr kompliziert und braucht viel Zeit. Außerdem muss man auch immer wieder neue Methoden für die Datenauswertung und –darstellung entwickeln. Und schließlich muss ich meine Erkenntnisse (oder auch meine Zweifel) aufschreiben und in wissenschaftlichen Artikeln veröffentlichen, damit Andere dazu Stellung nehmen können.

Auch Epidemiologen mit Forschungsschwerpunkt auf Infektionskrankheiten haben außerhalb von Krankheitsausbrüchen viel Arbeit. Daten müssen ausgewertet und interpretiert werden, neue Methoden entwickelt sowie Erkenntnisse aufgeschrieben und veröffentlicht werden.

Aber als Forscherin sitze ich nicht nur im stillen Kämmerlein und werte meine Daten aus. Ich lese außerdem Studienergebnisse von Kollegen und bewerte diese. Ich fahre auf Kongresse, um über den neuesten Stand der Arbeit von ihnen informiert zu werden, denn bevor eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht ist, dauert es auch eine Weile, und ich will schon vorher Bescheid wissen, was andere herausgefunden haben und mit ihnen darüber sprechen. Darauf aufbauend überlege ich, welche Forschungsfragen noch unbeantwortet sind. Für die, die besonders wichtig erscheinen, entwerfe ich Studien und beantrage Gelder dafür. Natürlich unterrichte ich auch, ich gebe Seminare und Vorlesungen für Studierende der Epidemiologie, aber auch in der Medizin und Zahnmedizin. Und dann gibt es noch den ganzen Bereich der Politikberatung und des Wissenschaftstransfers, also der Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in konkrete praktische Empfehlungen. Dazu treffe ich mich mit Entscheidungsträgern, verfasse Stellungnahmen oder schreibe E-Mails. Es gibt also viel zu tun, auch außerhalb von Epidemien.


Trotzdem stimmt es, dass seit Beginn der Corona-Pandemie die Erwartungen an uns Epidemiologinnen und Epidemiologen gestiegen sind – Journalisten wollen Antworten und Einschätzungen, Politiker wollen Empfehlungen von uns, die Öffentlichkeit erwartet Aufklärung und neue Erkenntnisse. Das alles ist völlig berechtigt und nötig, aber der Arbeitsaufwand ist schon enorm.

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